Lesezeit: 2-3 min | Veröffentlichung: 06. Oktober 2021
von Christina Griesel
„Nachdem ich lange krank war, bin ich zurück zur Arbeit. Ich musste meine Stunden reduzieren, um weiterarbeiten zu können. Mehr schaffe ich nicht. Alle wissen von meiner Erkrankung. Trotzdem ist mein Schreibtisch mit 30 Stunden so voll wie mit 40. Die Kollegen, mit denen ich mich früher gut verstanden habe, tratschen über mich. Sind neidisch, dass ich früher gehen kann. Ich bekomme so manche nicht nett gemeinte Bemerkung ab. Wenn ich dann nach Hause komme, habe ich fast keine Kraft mehr. Manches Mal gehe ich nur noch zu Bett.“
Solche Geschichten habe ich immer wieder gehört. Von Menschen, die schwere Grunderkrankungen haben – bei dieser Arbeitnehmerin, alleinerziehenden Mutter – ist es Multiple Sklerose. Sie möchte arbeiten gehen. Und wollte es immer. Ist eher arbeiten gegangen und hat zu Hause gut für sich gesorgt als sich krankschreiben zu lassen. Genau das führt nun dazu, dass sie von der Rentenversicherung nicht als „krank genug“ angesehen wird. „Nur zu Hause bleiben, das kann ich mir auch nicht vorstellen.“, sagt sie. Inzwischen will man sie raushaben, da sie nicht in das Schema passt. Sie wollen nur 40-Stunden-Kräfte. Dabei ist sie vor ihrer Erkrankung stetig im Unternehmen aufgestiegen. Sie ist immer eine gute Kraft gewesen. Hat immer alles gegeben. Vielleicht zu viel.
Keiner, der nicht eine eigene Grunderkrankung hat, kann sich wirklich vorstellen, wie es einer betroffenen Person geht. Selbst gleiche Grunderkrankungen wirken sich individuell unterschiedlich aus. Man sieht es nicht von außen. Stünde es nicht in der Akte, ich hätte es der Frau nicht angemerkt. Das heißt nicht, dass sie nichts hat. Das heißt, sie passt sich so gut an die sozial geforderten Äußerlichkeiten unserer Gesellschaft an, dass keiner etwas mitbekommt. „Ein zu braves Mädchen“?! Wie es ihr wirklich geht, erfährt man erst, wenn man sich interessiert, erkundigt.
Sie, als Führungskraft, können es Ihren Mitarbeitenden leichter machen. Sorgen Sie für Toleranz gegenüber Mitarbeitenden, die privat Extrapakete zu tragen haben. Sorgen Sie dafür, dass Sie davon wissen. Das kostet ein bisschen Zeit für kleine informelle Gespräche. Das spart Fehler, weil die Person nicht mehr überlastet wird und ab einem gewissen Punkt spart es Fehltage, viele Fehltage. Auch sparen Sie an tiefgreifenden Reibungsverlusten: Das fängt damit an, dass die Zusammenarbeit im Team nicht mehr läuft (weil die anderen hinterm Rücken reden) und es hört damit auf, dass die anderen Angst haben, ihre Situation darzulegen. Aus Angst selbst gemobbt zu werden. Wenn die Person eine angemessene Arbeitslast bekommt, kann sie trotzdem oder sogar gerade weiter ihren Job gut machen. Loyal und konstant.
Wussten Sie, dass für Menschen, die an Multiple Sklerose erkrankt sind, ein stressfreies Leben elementar ist, um weitere Schübe (Verschlechterungen) zu vermeiden. Sorgen Sie für eine gute Arbeitsatmosphäre und bewältigbare Aufgaben. Das hilft Ihnen selbst, Ihren Mitarbeitenden und dem Team. Im Grunde läuft es bei vielen Betroffenen immer auf Folgendes hinaus: Planbare Pausen und Entspannungszeiten, angemessene Arbeitslast (und nicht die heute viel verbreitete zu hohe Arbeitsmenge oder Zeitdruck) und ein gutes Miteinander. Weiterer Bonus: So vermeiden Sie bei den anderen Mitarbeitern schwere Erkrankungen und Burnout. Das ist Prävention, die sich für Ihr Unternehmen auch finanziell auszahlt.
Dies ist natürlich ein extremes Beispiel und trotzdem nicht so selten. Was ist mit Ihren Mitarbeitenden? Spontan fallen mir ein paar Personen ein, denen Anpassungen helfen würden. Zumindest vorübergehend. Es betrifft nicht nur Frauen und Mütter. Ich wette mit Ihnen, mit etwas Überlegen können Sie gute Lösungen für alle Beteiligten finden. Vielleicht mit ein bisschen Flexibilität. Letztendlich führt es zum Vorteil des Unternehmens. Schon alleine deswegen, weil ihre Mitarbeitenden dadurch den Kopf frei kriegen und sich wirklich auf ihre Arbeit konzentrieren können. Und weil sie in so einem Unternehmen auch gerne bleiben.
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